Der unbekannte Fluss

1996 hatte ich das mir wegen seiner schönen Radierungen aufgefallene Buch eines gewissen Philip Gilbert Hamerton in einem kleinen Antiquariat im Frankenberger Viertel Aachens erworben, um die eingebundenen Originaldrucke herauszulösen und (teilweise) aufwändig rahmen zu lassen. Es handelte sich um die 1916er Wiederauflage seines Werkes Etching & Etchers – ein langjähriges Standardwerk über die Kunst der Radierung, von dem ich natürlich nie erwartet hätte, dass es mich genau 25 Jahre später in meinen Arbeiten rund um Autun einholen würde:

Warum? Ich war auf der Suche nach historischen Ansichten der Kathedrale von Autun, die ich in mehreren Autun-Wandkalendern sowie einem Buch herauszugeben beabsichtige, auf eine Radierung Hamertons gestoßen, die mir aus irgendeinem Grund jedoch „komisch“ vorkam (linkes Bild):

Wie ich einem Digitalisat entnehmen konnte, war es eine der 37 Original-Radierungen, die seinem Buch Der unbekannte Fluss von 1871 beigefügt waren. Hamerton beschrieb darin eine 1866 durchgeführte, knapp zweiwöchige Kanufahrt auf dem Arroux, die er mit während der Reise selbst angefertigten Radierungen illustriert hatte. Auch sein Kanu hatte er selbst gebaut – aus Holz, Papier und einem gerade erst von Ruolz erfundenem Kunstharz.

Als ich ein wenig in das Buch hineinlas, wurde mir aufgrund der eigenen Erfahrungen mit Ätz- und Kaltnadelradierungen schnell klar, warum ich die Kathedrale nicht wiedererkannt hatte: Hamerton hatte auf den vorbereiteten Kupferplatten direkt nach der Natur gezeichnet, sodass alle seine Bilder im Druck seitenverkehrt erschienen. Wenn man diese Ansicht der Kathedrale spiegelt, erkennt man sie im gewohnten Anblick von Osten auch sofort wieder (rechtes Bild).

Ausgaben von Der unbekannte Fluss

1867. Hamerton hat seinen Reisebericht zunächst als 18-seitige Zusammenfassung im Fortnightly Review vom Februar 1867 unter dem Titel A canoe voyage veröffentlicht. Ich konnte hiervon ein Original erwerben. Eine von Louis Pillon angefertigte Übersetzung dieses Artikels ins Französische befindet sich in der weiter unten erwähnten französischen Ausgabe des Buches von 2006. Die deutsche Erstausgabe dieses Artikels erscheint am 3. Dezember 2021 in Heft 1/2022 des KANUmagazin.
Wie mir der französische Übersetzer des Buches, Herr Daniel Margottat (siehe 2006 unten) nun mitteilte, erschien mit Voyage en Pirogue im gleichen Jahr zuächst in Französisch, dann jedoch auch bei einem englischen Herausgeber eine Serie von 36 Radierungen in sechs Lieferungen. Jeweils mit einem Vorsatzblatt und einer kleinen Einleitung. Die Radierung von Hamertons Hund Tom war hier nicht enthalten und die Radierung La Genetoie nur in stark abweichender Form.

1870. Es gibt eine erste Veröffentlichung des vollständigen Manuskripts in englischer Sprache im Kunstmagazin Hamertons, The Portfolio. Ich konnte auch hiervon eine wunderschöne Halblederausgabe mit Goldschnitt erwerben. In dieser Ausgabe wurden die auf einem sehr dünnen Papier ausgeführten Originalradierungen eingeklebt:

1871. Hamerton hat dann offenbar Verleger für eine Buchausgabe gefunden, zunächst in Großbritannien, aber kurze Zeit später auch in den USA. Ich erwarb die (britische) Erstausgabe von 1871 und auch eine US-amerikanische Ausgabe 1876, die ein Vorwort mit einigen ergänzenden Hinweisen enthielt. Beide vollständig mit allen 37 Original-Radierungen und in einer sehr luxuriösen Goldschnitt-Ausgabe. In diesen Ausgaben wurden die auf schwerem Büttenpapier ausgeführten Radierungen zwischen den Buchseiten eingefügt:

2006. Daniel Margottat fertigte 2006 erfreulicherweise eine Übersetzung der englischen Ausgabe von 1871 unter dem Titel La rivière inconnue an, die ich ebenfalls erwerben konnte. Louis Pillon hat in dieser Ausgabe auch seine französische Übersetzung des Artikels von 1867 untergebracht:

2021. Was mir persönlich jedoch fehlte war der Überblick. Natürlich hatte ich in Autun am Arroux gestanden und ihn dort gesehen. Aber weder in den englischen Ausgaben, noch in der französischen Ausgabe gab es eine Karte, auf der man den Verlauf des Flusses und die verschiedenen Stationen sehen konnte, an denen Hamerton übernachtete. Also machte ich mich selbst ans Werk und fertigte eine Skizze an, die ich dann als Ätzradierung umsetzte, mit Aquarellfarben kolorierte und beschriftete:

Und natürlich hatte ich längst beschlossen, es zu übersetzen. Die Übersetzung ist abgeschlossen und das gebundene Buch im Format 24x17cm ist am 15. Februar 2021 im Selbstverlag erschienen, also genau 150 Jahre nach der englischen Erstausgabe.