Rezension von Drs. Hans Beelen

Die folgende Rezension erschien im Mai 2025 in der Zeitschrift des 1961 gegründeten, niederländischen Vereins für Seegeschichte, Vereniging voor Zeegeschiedenis, in Leiden, NL.

Der Autor, Drs. Johannes Beelen, ist als Lehrkraft für besondere Aufgaben in der Fakultät III – Sprach- und Kulturwissenschaften an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg in der Niederlandistik tätig. Ich bedanke mich an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich beim Autor und bei den Herausgebern der Tijdschrift voor Zeegeschiedenis für die Erlaubnis zur Übersetzung und Veröffentlichung der im Original in Niederländisch publizierten Rezension und wünsche Ihnen viel Spaß beim Lesen!

Rezension

Wer sich für die Geschichte des Polartourismus interessiert und auch etwas Deutsch lesen kann, wird an drei neulich erneut herausgebrachten Reisebeschreibungen aus dem neunzehnten Jahrhundert Gefallen finden. Zu Recht argumentiert Sandra Walser in ihrer Studie Auf Nordlandfahrt, 1896 von Hamburg nach Spitzbergen (2018), dass der deutsche Polarforscher Wilhelm Bade (1843–1903) mit den von ihm organisierten mehrtägigen touristischen Expeditionsreisen auf kleinen Schiffen, auf denen auch Wissenschaftler mitfuhren, um die Passagiere durch Vorträge und Führungen über die Polarregion zu informieren, als Vater des heutigen Polartourismus angesehen werden kann. Die Kreuzfahrt nach Spitzbergen, die unter Leitung Bades vom 15. Juli bis zum 16 August 1896 von Hamburg aus mit dem Erling Jarl unternommen wurde, war in mehrfacher Hinsicht eine bemerkenswerte Reise. Die internationale Gesellschaft von 52 Passagieren (45 Herren und sieben Damen) fuhr von Hamburg aus an der norwegischen Küste entlang nach Norden und ging dabei unter anderem an der norwegischen Walfangstation Skorøya an Land.

Im Gebiet des Archipels angekommen, hatte die Gruppe auf der Insel Danskøya die Gelegenheit, den Vorbereitungen von Salomon August Andrées Ballonfahrt zum Nordpol beizuwohnen und von Andrée persönlich herumgeführt zu werden. Die Reise wurde noch weiter nach Norden fortgesetzt und am 25. Juli erreichte der Erling Jarl bei 81° 32,8 N die bis dahin höchste von einem Kreuzfahrtschiff jemals erreichte nördliche Breite. Nur die früheren wissenschaftlichen Expeditionen von Parry (1827) und Nordenskiöld (1868) waren weiter in den Norden vorgedrungen. Auf dem Rückweg nach Süden wurde in der Adventbucht Station gemacht, wo die Reisenden das Hotel Turisthyt besuchen (das damals am heutigen Hotellneset lag, wo sich jetzt der Flughafen und der Campingplatz von Longyearbyen befinden). Dort lernten sie berühmte Persönlichkeiten wie den Expeditionsleiter Martin Conway oder den kantigen norwegischen Führer und Pelzjäger Klaus Thue kennen. Auf der Rückreise wurde auch das Nordkap besucht, wo man am 9. August zusammen mit zahlreichen Astronomen Zeuge einer totalen Sonnenfinsternis wurde. Fünf Tage später erfuhr die Gesellschaft von der wohlbehaltenen Rückkehr Fridtjof Nansens von seiner Expedition mit der Fram (1893-1896). Bei der Abfahrt aus Bergen beobachteten die Passagiere vom Schiff aus ein Feuerwerk, das Nansen zu Ehren gezündet wurde.

Angesichts dieser Abfolge von besonderen Ereignissen verwundert es nicht, dass verschiedene Passagiere ihre Reiseerinnerungen in Buchform herausgebracht haben. Dadurch ist diese Kreuzfahrt Bades wahrscheinlich die am besten dokumentierte touristische Reise nach Spitzbergen im neunzehnten Jahrhundert. Zur Fortsetzung und Ergänzung von Walsers hervorragender Studie Auf Nordlandfahrt, 1896 von Hamburg nach Spitzbergen wurden in den vergangenen Jahren zwei authentische Reiseberichte herausgebracht. Das Tagebuch des Schweizer Malers Hans Beat Wieland (1867-1945) besteht aus Einträgen, die er während seiner Reise per Post nach Hause schickte, und die nach seiner Rückkehr in einem Heft zusammengefasst wurden. Dieses von Walser im Rahmen ihrer Forschungsarbeit entdeckte und nun vollständig veröffentlichte, private Dokument vermittelt ein lebendiges Bild der Reise, nicht aber aus der Perspektive der wohlhabenden Honoratioren, die sich Ende des 19. Jahrhunderts eine solche Reise leisten konnten, sondern durch die künstlerische, etwas distanzierte Brille eines Bohemien-Künstlers, der zu einem reduzierten Preis mitfahren durfte, um Zeichnungen für einen werbewirksamen Reisebericht für die Leipziger Illustrirte Zeitung zu liefern.

Der Erling Jarl war aufgrund seines geringen Tiefgangs in der Lage, sich in den damals noch unzureichend kartografierten Gewässern von Spitzbergen auch der Küste nähern zu können. Solange die Passagiere nicht unter Seekrankheit litten, ging es fröhlich zu mit viel Champagner, Toasts und Reden des charismatischen Kapitäns Bade, der für sein erzählerisches Talent gepriesen wurde. Viele Passagiere hatten Gewehre dabei, um beim Landgang auf die Jagd zu gehen.

Wielands Tagebuch der Reise von 1896 wird ergänzt durch den Text eines Manuskriptes für einen Vortrag, den er im Nachgang an verschiedenen Orten gehalten hat, und in dem er Spitzbergen als das „Touristenland der Zukunft“ bezeichnet. Auch das kurz gehaltene Tagebuch von einer zweiten Reise nach Spitzbergen im Jahr 1897 ist enthalten. Diese Quellentexte werden als Leseedition mit leichten Anpassungen der Zeichensetzung und Rechtschreibung präsentiert und, dort wo nötig, mit erläuternden Fußnoten versehen. Die kleinen Federzeichnungen, mit denen Wieland sein Tagebuch illustrierte, werden neben dem Text ebenso wiedergegeben, wie zwei Zeitungsannoncen. Ein detailliertes Register mit Begriffen, Orts- und Personennamen rundet diese kleine aber sorgfältig gestaltete Publikation ab.

Anders als Wieland gehörte der Luxemburger Anwalt Maurice Letellier (1862-1899) sehr wohl zu Bades primärer Zielgruppe gutgestellter Bürger. Für Spitzbergen, Reisebeschreibung von 1896 wurde der französische Text des Spitzbergen-Kapitels aus Letelliers Reisebeschreibung A travers la Norvège et Spitzbergen (1897) von Klaus Kurre flüssig ins Deutsche übersetzt. Wie schon Wieland liefert auch Letellier einen getreuen Reisebericht von Tag zu Tag. Als erfahrener Autor (im Jahr 1887 hatte er mit Lettres d‘Orient bereits die Beschreibung einer Reise in den Mittleren Orient veröffentlicht) schreibt er in einem lebendigen Stil mit viel direkter Rede und zahlreichen Verweisen auf damals bei gelehrten Bürgern bekannte Literatur. In Fußnoten werden derartige Zitate und andere unklare Begriffe angemessen erläutert (nur ist „Soeur Anne“ (Fußnote 17) keine Anspielung auf den gleichnamigen Roman von Paul de Cock aus dem Jahr 1840, sondern ein Verweis auf das Märchen La barbe bleue, das 1697 vom französischen Schriftsteller Charles Perrault veröffentlicht wurde und hierzulande als Blaubart bekannt ist).

Der flott lesbare Text wird durch zwei Rezensionen aus der Zeitung Das Luxemburger Wort von 1897 ergänzt und wurde ebenso wie Wielands Tagebuch mit einem Register versehen (in dem Skorøya nach französischer Schreibung als ‚Scaarø‘ wiedergegeben wurde). Außerdem enthält das handliche Büchlein zehn schöne zeitgenössische Schwarzweißfotos und eine Karte von Spitzbergen, in der die Route des Erling Jarl eingezeichnet ist. Der große Nutzen des Registers ist, dass die Nachnamen der Mitreisenden (von denen Letellier ganz diskret nur die Anfangsbuchstaben wiedergibt, über die er jedoch ebenso wie Wieland manchmal bissige Bemerkungen macht) vollständig wiedergegeben werden, wodurch wir uns ein noch genaueres Bild der Gruppendynamik während der Reise machen können. Die Identifizierungen waren dank der früheren Forschungen Sandra Walsers möglich, die in Auf Nordlandfahrt die Rekonstruktion einer Passagierliste präsentieren konnte, die unter anderem auf dem Gästebuch der Walfangstation Skorøya basierte. Für die niederländischsprachigen Leser ist es besonders nett, zu erfahren, dass im Jahre 1896 auch Passagiere aus den Niederlanden und Belgien nach Spitzbergen mitgereist sind, unter ihnen der Physiker Louis Bleekrode, der im Lande Vorträge über steuerbare Luftschiffe und Andrées Ballonfahrt hielt und hierüber auch in Zeitschriften wie Elsevier’s Geïllustreerd Maandschrift und De Natuur publizierte.

Übersetzung aus dem Niederländischen von Klaus Kurre.